Mittwoch, 30. Mai 2012

EINSTEIGER II - Was brauch' ich ?

Was braucht man jetzt eigentlich für eine ernsthafte Geschichtsdarstellung ?

Klarerweise zuerst mal ein Trinkhorn und mindestens 3 Blankwaffen variabler Länge. Oder doch nicht ?

Was man wirklich braucht, ist fürs Erste mal gar nicht so leicht aufzulisten, obwohl ... da wäre mal das Wichtigste, ein ernsthaftes Interesse an Geschichte !
Ein gesundes Maß an Willen zur Weiterbildung ist auch nötig, gepaart mit Leselust und der nötigen Hartnäckigkeit auch mal ein paar Tage nach einem bestimmten Bild oder Beleg zu suchen.
Dann wäre da die Geduld, gerade bei längeren Projekten unverzichtbar, und noch die Bereitschaft sich selbst und sein Wirken und Werken ständig zu hinterfragen.
Ebenso sollte man bereit sein, selbst liebstgewonnene Ausstattung oder Vorstellungen jederzeit über Bord zu werfen, immer wieder stößt man gleich nach der Fertigstellung eines Stückes gleich mal auf einen widersprechenden Beleg.
Dazu kommen dann noch ein gewisses Maß an gezügelter Phantasie, genug um fundierte Interpretationen und Rekonstruktionen hinzukriegen ohne geistig  in der Welt der Märchen und Abenteuer zu verschwinden. Handwerkliches Geschick ist auch ganz praktisch, immer wieder wird man für seine Rekonstruktion selbst Hand anlegen wollen oder müssen.
Aber auch die berühmten 2 linken Hände sind in der Darstellerszene natürlich willkommen, man kann fehlendes Geschick auch gut mit anderen nützlichen Eigenschaften wie Recherchekunst, Belesenheit oder sozialen Talenten substituieren.

Vermutlich ließe sich dieser Text noch eine ganze Weile fortsetzen, aber bevor wir uns völlig in philosophischen Betrachtungen verlieren, zurück zu Handfestem !

Was brauche ich denn um die eigene Person optisch aus dem 21. Jahrhundert zu holen und ins Jahr 1340 zu bringen ?

Wir gehen wie schon in EINSTEIGER - Auf in die Hochgotik ! erwähnt einmal von den einfachen, städtischen Ständen des Diensthandwerks oder einer niederen Handwerksdarstellung aus und kommen zu Folgendem:



Für den Mann minimal benötigte Ausstattung, in kursiv der mittelhochdeutsche Begriff:

- bruoch 
eine knielange, leinene,  zur Unterkleidung gehörende Hose, dient auch zur Befestigung der Beinlinge
- hosen
aus Wolle bestehende Beinkleider mit integriertem Fußteil (Beinlinge), an der brouch zu befestigen
- nestel
geflochtene, gewebte oder lederne Bänder zum Verbinden von hosen und bruoch, auch mit metallenen Spitzen versehen
- pfait
das knielange, langärmlige Hemd aus Leinen, ebenfalls Teil der Unterkleidung
- kitel
knielanger, langärmliger Kittel aus Wolle, Teil der Oberbekleidung
- rieme
ein einfacher Gürtel mit Schnalle und Riemenzunge
- hût 
Kopfbedeckung aus Filz
- schuohe
wendegenähte Schuhe aus Rindsleder

 
Für die Frau würde die Minimalliste so aussehen:

- hosen
aus Wolle bestehende, knielange Beinkleider mit integriertem Fußteil (Strümpfe)
- nestel
geflochtene, gewebte oder lederne Bänder zum Binden der Strümpfe unter dem Knie
- pfait
knöchellanges, langärmliges Hemd aus Leinen, ebenfalls Teil der Unterkleidung
- kitel
knöchellanges, langärmliges Kleid aus Wolle, Teil der Oberbekleidung
- rieme
ein einfacher Gürtel mit Schnalle und Riemenzunge
- wimpel, bezel mit gebende oder rise
verschiedene Varianten eines leinenen Kopftuchs 
- nâdele
für den Schleier in Verbindung mit gebende oder rise sind einfache Nadeln zum Stecken nötig
- schuohe
wendegenähte Schuhe aus Rindsleder

Wer jetzt schon mal gern mehr Details zu den einzelnen Kleidungsstücken sucht, sei gleich mal wieder auf die Einsteigerliteraturliste verwiesen.

Zur Qualität und der Farbgebung gäbe es jetzt ebenfalls noch eine Menge zu sagen, ich will mich hier aber auch wieder kurz fassen.
Für alle mit Leinen angegebenen Kleidungsstücke ist naturfarbenes oder mild gebleichtes Leinen in Leinwandbindung die richtige Wahl, bei der Wolle entweder naturfarbenes (weiß, grau, braun) oder einfach pflanzengefärbtes (krapprot, waidblau) Wolltuch in Köperbindung. Beim Leder gilt es zu vegetabil gegerbtem Rindsleder zu greifen.

Genaueres zu den Farben und zur Pflanzenfärbung im Allgemeinen findet man, mal wieder, in schöner Ausführlichkeit bei den Wienischen Hantwercliuten 1350.

So, und wo soll man das alles her kriegen ? Nur Geduld, die Geldbörse mal beiseite gelegt und die Finger wieder über dem Bauch verschränkt, im 3.Teil der EINSTEIGER-Serie wird darauf näher eingegangen.