Montag, 2. Juni 2014

Niklas der Girdler - ein Rekonstruktionsversuch

So, lange Zeit ohne neuen Beitrag .. jetzt ist Schluss damit! Also nicht Schluss mit dem Blog natürlich sondern Schluss mit der Schaffenspause. Und der richtige Anlass dafür ist die Fotoserie die wir am Wochenende von meiner fertigen (oder theoretisch fertigen, denn fertig ist man in dem Hobby nie mit etwas) Darstellung meines Wiener Handwerksmeisters um 1340 machen konnten. Also Auftritt ...

Niklas der Girdler, auch genannt Niklas Hufenbauer, ein Gürtlermeister aus dem hochgotischen Wien



Kommen wir zuerst zu ein paar Eckpfeilern der natürlich teilweise fiktiven Hintergrundgeschichte des guten Mannes. Der Gürtler war um 1340 ein endfertigender Beruf der Leibriemen und Pferdegeschirr aus den von den Vorhandwerken des Gerbers, Bortenwebers, Riemenschneiders, Schnallengiessers oder Färbers zu verkaufsfertig machte und auch vertrieb.
Der Gürtler als Zunftgruppe ist für Wien schon um 1326 mit insgesamt 5 Meistern urkundlich belegt, keine sehr hohe Zahl gerechnet auf ein paar tausend Einwohner zu der Zeit. Die geringe Anzahl lässt verschiedene Deutungen zu von denen die eines Luxushandwerks hier angenommen werden soll.

Niklas der Girdler trägt seinen Beruf deshalb als Namenszusatz weil die eigentlichen Nachnamen heutiger Zeit erst im Entstehen begriffen sind. Was uns aber zur Namensgebung als Niklas Hufenbauer führt. Hier zeichnet sich der persönliche Reichtum des aufstrebenden Bürgertums Wiens ab, denn der Bürger in der Mitte des 14. Jahrhunderts war bereits stark bemüht sein erworbenes Vermögen in Grundbesitz anzulegen und so krisensicher zu machen. Zahlreiche Grunderwerbe von Häusern, Weingärten und anderen Liegenschaften in und um Wien sind sehr gut urkundlich dokumentiert.
Unser Niklas, wohl Anfang oder Mitte 30, Vater zweier Töchter, treusorgender Ehemann und Arbeitgeber für ein paar Gesellen und Lehrlinge, hat also in den letzten Jahren so zahlreich Streubesitz in Form von Weinbergen, Wiesen und Obstgärten erworben im Umland Wiens erworben, dass man in typisch Wiener Art leicht spöttelnd den "Hufenbauer" nennt. Der Begriff Hufe definierte in der Regel eine bescheidene Ackergrundfläche die noch von nur einer Familie bewirtschaftet werden konnte.

Soviel zur Theorie, kommen wir zur Praxis der Umsetzung:

Hier möchte ich mit ein paar Bildern zur untersten Kleidungsschicht beginnen, der bruoche und dem pfait, also der klassischen und von allen Bevölkerungsschichten getragenen Form der Unterwäsche.

Das pfait

pfait in der Rekonstruktion

Das pfait, ein meist leinernes Unterhemd von einfachstem Zuschnitt war ein Unterbekleidungsstücke dessen Zweck vorrangig darin zu sehen ist die eigentlich Kleidung vor Verunreinigung durch Körperschmutz zu schützen. Oberkleidung ohne Hemd zu tragen wird in der zeitgenössischen Literatur als extrem ärmlich und bäurisch gesehen.Der Halsuschnitt war stets so gewählt das das Hemd als Schlupfkleidungsstück verwendet werden konnte, also entweder sehr weit gefasst oder als Schlüssellochauschnitt ausgeführt.

Die bruoche

bruoche in der Rekonstruktion

Die bruoche (oder modern, Bruche), war eine sehr weit geschnittene, etwa knielange Leinenhose die neben ihrem Verwendungszweck als Leibwäsche auch der Befestigung der hosen (oder modern, Beinlinge) diente. Zu diesem Zweck wurden nesteln, also geflochtene Nestelbänder mit metallenen Spitzen durch Aussparungen im Bund der Bruche um den Bruchengürtel geführt und an diesen Bändern dann die Beinlinge befestigt.

Die hosen

hosen in der Rekonstruktion

Als hosen, oder neuösterreichisch Beinlinge, wurde die eng anliegende Beinbekleidung der Hochgotik bezeichnet. Es waren dies schräg zum Fadenverlauf zugeschnittene Beinröhren aus Wollstoff inklusive Fußteil, welche mittels Bändern, den nesteln, an der bruoche befestigt wurden.

Um unseren Niklas jetzt aber endlich anständig anzukleiden und von der Peinlichkeit zu befreien sein Wohlstandsbäuchlein herumzuzeigen, fügen wir endlich noch den rock hinzu:

Der rock

Na wird auch Zeit! Besser so!

Als rock kannte man um 1340 die gängige Form der Oberbekleidung bei Männern und Frauen, der hier gezeigte Kittel ist aus resedagefärbter Wolle und besitzt Knöpfe an der Brust und an den Ärmeln. Der grund hierfür liegt in dem Bemühen der Hochgotik Kleidung nahe an den Leib zu schneidern was um 1340 in Österreich aber vorwiegend nur im Brustbereich und bei den Ärmeln umgesetzt wurde. Im Gegensatz zur Mode der 1350er jahre, die auch die Taillie stark betont, ist der Kittel im Hüftbereich noch deutlich weiter und fällt teilweise sogar über den Gürtel. Außerdem ist, gerade bei Herren fortgeschrittenen Alters wie unserem Gürtler auch die Rocklänge deutlich größer als ein paar Jahre später.
Gerad in der arbeitenenden Schicht war das Knöpfen der engen Ärmel auch insofern wichtig, als dass man bei Bedarf immer noch die Ärmel hochschlagen konnte um die Kleidung zu schützen.

Pause! ....  bevors weitergeht muss ich noch kurz meine hosen richten .....

Immer dieses Nestelgefummel .. kann bitte mal wer die Hose wiederentdecken?

Als Ergänzung zum rock trägt Niklas natürlich auch unweigerlich Hut, gehört sich ja so, und in diesem Fall ist es ein einfaches Modell aus naturbraunem Filz mit schmaler Krempe und einem aufgenähten Pilgerzeichen des Hl.Elegius, Schutzpatron der Goldschmiede (und vermutlich auch der Gürtler).

Sammas daun boid? I muass oarweiden ano!
Modernes Wienerisch, Übersetzung auf Anfrage

An den Beinen trägt der Meister hohe Knöpfriegelstiefel wie sie aus den Bodenfunden aus Konstanz belegbar sind. Der Stiefel mit seinem hohen Materialeinsatz wird insofern mit Wohlsstand assoziiert, als er das einzige Schuhwerk ist dass auch in Wiener Testamenten der Gotik auftaucht.

Stefan von der Heide-Stiefel ... da wird Mann zum Schuhfetischisten

Wie man auf dem Bild erkennen kann sind die Stiefel mittlerweile aufgedoppelt, etwas das sich bei den mittelalterlichen Wendeschuhen über kurz oder lang nicht vermeiden lässt. Zu schnell läuft man die dünnen Ledersohlen durch.

Was fehlt noch? Natürlich das Wichtigste für einen Gürtler (und auch für die meisten anderen Menschen der damaligen Zeit als Accessoire unverzichtbar) .. der Gürtel!

Na wenn ich nicht "cool" bin, wer dann?

Der Gürtler, damals girdle, riem oder cingulum war in einer Zeit ohne Taschen in der Kleidung unverzichtbar um wenigstens die nötigsten Besitztümer des täglichen Bedarfs mitführen zu können. Auch für das Raffen der Kleidung war er um 1340, wie schon oben erwähnt, immer noch von Nutzen. Wer sich jetzt noch mehr mit meinem "Steckenpferd" beschäftigen möchte findet hier auf dem Blog, unter anderem HIER, noch einiges an Informationen über die Gürtelmode.

Am Gürtel hängt hier, der zeitgemäßen Mode entsprechend, die Alternative zum Almosenbeutel in Form einer nierenförmigen Gürteltasche. Dahinter wird, wie oft auf Abbildungen die dieses Modezubehör zeigen, ein Dolch beziehungsweise ein Dolchmesser getragen. In diesem Fall in Form einer Doppelscheide nach einem gefundenen Exemplar aus London. In einer kleinen Extrascheide wird damit auch noch ein handliches Essmesser befördert.

So .. was kommt jetzt noch?

Nun für einen echten Wiener darf natürlich das seidl nicht fehlen, in diesem Fall ein Seidlmantel. Das ist ein kurzer (manchmal sogar nur hüftlanger) Halbkreismantel der entweder mit einem großen Fürspann oder mit Knöpfen verschlossen wird:


Modell stehen für eine Buchmalerei

Noch was? Aber gern .. wie wär es z.B. mit einer gugel? Das Kleidungsstück ist wohl aus der römischen Cuculle hervorgegangen und ist eine Kapuze mit sehr breitem Kragen und einem mehr oder minder langen Zipfel (laut der Bozener Chronik von 1340 bis zu 3 Klafter lang).

Was ist da unten?

Aber für so eine richtig vollständige Kleidergarnitur fehlt noch etwas entscheidendes .. ein suckl! So, oder auch als Sucknei oder Surcot, bezeichnet man einen Überrock der um die Mitte des 14.Jahrhunderts sehr gerne mit Tütenärmeln getragen wird (hier mit gelber Seide gefüttert). Auch beim Suckl werden bereits Knöpfe verwendet, bei meinem nach höchstem Modestand sogar bis zur Hüfte.

Na toll, welcher Hirnederl hat vor meine Tür gegackt?

Und ja, jetzt sind wir endlich durch! Danke für die Geduld und als Belohnung für die von mir verursachte Abnützung des Mausrads noch mal ein Bild ... alles zusammen und die Gugel als Hut (und ja, es ist die gleiche Gugel ... und wer auf die komische Idee gekommen ist sich das Ding mit dem gesichtsauschnitt als Krempe aufzusetzen kann nur vermutet werden .. aber sicher ein Franzose)

NA EGAL! Was bin ich schön!