Sonntag, 17. Juli 2016

Besser als ein Becherfetzerl

Becherfetzerl. Kennen das alle? Man kann auch Krugtuch oder Deckeldecke dazu sagen. Und es wird gern im Marktbereich eingesetzt. Wie so was aussieht? Na es ist ein erstaunliches Stück Textil das meistens hundert mal aufwändiger gestaltet wird als die Kleidung seines Besitzers. Man hat angeblich schon Exemplare gesehen in die die halbe Tristansage gestickt war und an deren Ecke fette Bernsteinperlen baumelten.

Der Zweck dieser Dinger ist ja eigentlich ein legitimer, keiner mag Mücken, Fliegen oder Wespen in seinem Saft. Auch wir A-Päpste nicht. Anstatt aber kreative Lösungen aus den lurexbeborteten Tütenärmeln zu ziehen, greifen wir Langweiler zu einem heute ja leider wenig beliebten Medium: Dem Buch.

In meinem Fall war es Alice Kaltenbergers etwas nüchtern betiteltes aber ausgezeichnetes Werk: "Keramik des Mittelalters und der Neuzeit in Oberösterreich". Denn da drin war etwas abgebildet, das mein Problem mit der illegalen Einreise von Zuckerimmigrationswespen und Flüchtlingsfliegen in mein Fruchtsaftparadies lösen würde.

Das Wunderding EN-B 42, Seite 162, Tafel 35 aus obig genannten Werk


Ein Krug! Ein Krug? Na, aber was soll man den mit einem ordinären Krug? Nun, dem geneigten Bildbetrachter mag aufgefallen sein, dass der Krug direkt über dem Henkel einen eigenartigen Auswuchs hat. Und dieser Auswuchs diente als Scharnier und war für eine wundersame und wohl auch geheimlogige Erfindung gedacht: Die-Einmalige-Codifizierte-Krug-Eindringlings-Lösung .. in der Kurzform D.E.C.K.E.L genannt.

Da diese D.E.C.K.E.L aber die gesamte Krugtuchindustrie mit einem Schlag im Keim erstickte und neben Naturkatastrophen auch noch die Pestwelle von 1348 auslösten, hat bis heute keiner einen Beleg für Becherdecken gefunden! Und so fristen gehäkelte Rosenroman-Topfbeschützer aus merzeriserter Baumwolle unter jedem zweiten Marktsonnensegel ein einsames und von der Wissenschaft unbeachtetes Leben.

Aber zurück zu der A-päpstlichen und völlig phantasiefreien Lösung. So ein virtuell existierendes Krüglein ist ja nämlich recht nett, auch wenn es auf die zweite Hälfte des 14.Jahrhunderts datierend eigentlich zu spät für uns ist, aber in zweidimensionaler Form könnte ich es ja höchstens ausdrucken und "deckendeckerl"-artig über die Saftkrugöffnung legen. Das wär ein Geschrei!

Gott sei Dank hat es in der Welt da draußen aber Leute die 2D in 3D verwandeln können! Und dazu braucht es kein Pixar, Dreamworks oder Spritzplastikdruckgeräte sondern nur einen guten Hafner, in meinem Fall aber ein Hafnerin:

Anna heißt die gute Frau und sie führt das wunderbare "Keramik durch die Epochen" mit sanfter, keramikhochziehender Hand begleitet von ihrem keramikarchäologiespezialisierten Partner (und gutem Freund von mir), Simon.

Besagte Anna hat mir dann einen Traum aus Ton gehafnert und schmauchgebrannt den ich euch natürlich nicht vorenthalten wollte, steht er doch schon einige Zeit bei mir im Regal, sondern der einfach in einem Stadium der Unvollendigkeit (Unvollendung? Unvollendetheit?) auf seinen großen Auftritt wartete. Und der kam dieses Wochenende.
 
Raubinsektendefensivfestungsbausatz

Aus einem herumliegenden Lindenholzbrettchen habe ich einen Deckel geschnitzt der genau auf die Öffnung des Kruges passt. Und ein kleines Stückchen von einem in meinen Garten herumliegenden Ahornast ergab das perfekt gewachsene Deckelscharnier.


Den Holzdeckel hab ich dann noch an der Unterseite mit dem Schnitzmesser angeschrägt sodass er besser auf die sich oben leicht erweiternde Krugöffnung passt, dann das Scharnierteil aufgeleimt (und geduldig 24h trocknen lassen). Danach hab ich nur noch an der richtigen Stelle ein Loch gebohrt und einen Holzstift eingesetzt. Klappt (buchstäblich) wunderbar! Jetzt können die Viecher kommen!


Natürlich ist mein Holzdeckel nur eine Interpretation, das Original könnte ebenso einen Deckel aus Keramik oder sogar Zinn gehabt haben.

Natürlich können jetzt die "Alvoll!" und "Handgeklapper!" gestählten Münder lautstarken Protest erheben und sagen: "Ja, aber .. die Becher musst du dann doch mit Becherfetzerln schützen!"

"Nein, muss ich nicht!" kann ich ihnen dann trozig entgegenschleudern, denn die Becher meiner Kinder sind maßgetreu gefertigte Repliken von innen glasierten Tonbechern aus dem Wiener Fundgut .. und sie sind so klein, dass selbst meine Kleine es schafft sie auf einmal aus zu trinken.
Ihr, geneigte Leserinnen und Leser seht also: Es lässt sich für jedes Problem eine historische Lösung finden, denn wie wir alle wissen: "Die waren ja nicht blöd damals!". Also nur Mut!