Mittwoch, 24. Juni 2015

Der Schein der Gotik

Bei jenem Großteil meiner Leserschaft die schon nägelkauend und Gräben in den Parkett laufend auf neue Beiträge gewartet haben muss ich mich zuerst mal entschuldigen .. ich  war .. hmm .. inaktiv! Und sowas von! Keine Lust auf replizieren, konstruieren, dokumentieren und sonstige Ieren, außer vielleicht konsumieren. Aber gut, Gottsei Dank, alles hat ein Ende. Jetzt geht's wieder los .. gleich mal ein Bild!

Highway to Hell - Ein Trailer zu dem was sie noch lesen werden müssen

Und weil ich bin wie ich bin und mich gerne selber schreiben lese ein paar einleitende Worte zum Beitragstitel: Der Schein der Gotik.

Die Gotik war eine Zeit der ersten Wahrnehmung, ein Zeitalter des Beeindruckens und eine Epoche in der der für die Erfüllung dieser Ziele auf Teufel komm raus getrickst wurde. Sichtbar wird dies in zwei klassischen Elementen hochgotischer Alltagsprodukte: der Schauseite und der Materialtäuschung.

Erstere ist schnell erklärt wenn man sich als Beispiel Messerscheiden aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ansieht. Die haben ein oft sehr aufwändig gestaltete Vorderseite, geprägt, punziert, mit Lederschnitt in figürlichen Darstellung in aufwändigen Medaillions versehen, bemalt, vergoldet und so weiter.
Tatsächlich sind sehr viele der angesprochenen Scheiden aber auch auf der Rückseite bearbeitet,  wenn man sich diese Rückseiten aber ansieht fragt man sich oft warum? So schlampig, chaotisch und unsinspiriert wie da gearbeitet wurde, mit Kratzereien, unfertigen Mustern und wilden Linien, zeigen sie wohl wirklich nur eines: die schattige Seite ihre Zeit.

Ähnlich verhält es sich mit der Materialtäuschung, denn viele glänzende und unendlich wertvoll erscheinende Objekte sind unter all dem ersten Glanz nur Träger einer Schicht des ersten Eindrucks.
Kaum ein Objekt der Hochgotik ist aus massivem Gold. Im Gegenteil, man hat selbst winzige Fürspane aufwändig vergoldet. Oder versilbert. Oder zu mindestens solange Poliert bis das Messing glänzte. Man hat Zinn statt Silber gesetzt, Messing statt Gold, Glas statt Edelstein, Sand statt Mehl und selbst Fälschungen von Holzarten durch bemalen billiger Hölzer sind bekannt. Die Archäologie kennt hunderte solcher Beispiele und sogar die Menschen jener Zeit haben schon versucht sich mit zahllosen Richtlinien an Zechen und Zünfte vor Täuschung zu schützen.

All dies sollte in mein neues Projekt einfließen: Ein Gürtel für eine Dame!

Aber was für eine Dame? Nun die gute Frau ist Gattin eines Handwerkers, aufstrebend und gutsituiert aber weit weg von den Spitzenprodukten des Goldschmiedehandwerks, entfernt von den importierten Glaswaren aus Venedig und auch noch durch Luxusverordnungen eingezwängt in ein Korsett (Nein, es gab damals KEINE Korsetts, auch keine Mieder oder Bustiers .. das ist nur eine Metapher!) das sie ferhilet von markschweren Gürteln aus Silber.

Doch trotzdem hat sie ihren Stolz, will repräsentieren und so wie alle anderen ihres Standes teilnehmen am Schaulaufen der Festtage, glitzern und glänzen, funkeln und blinken. Der Wunsch soll ihr erfüllt werden!


Bei dieser Rekonstruktion ist vieles nicht wie scheint, denn schon die Zierbeschläge sind nicht aus massiven Silber. Nein hier wurde lediglich Messing versilbert, eine Vorgehensweise die schon seit dem Frühmittelalter gebräuchlich war. Das Motiv stammt von einem Fund der in  der Slovakei gemacht wurde.

Am liebsten wäre es mir gewesen, die Beschläge wie bei den vergoldeten Silberbeschlägen aus Erfurt auf der Rückseite des Bandes zu vernieten. Das hätte dann so ausgesehen, vernietet mit winzigen Buntmetallscheiben:


Leider stellte sich aber heraus, dass das Messing der Beschläge für diese Vorgehensweise nicht geeignet war. Der Ausschuss der bis zu einem schön vernieteten Beschlag anfiel erwies sich als inakzeptabel, das Messing war zu hart und brüchig und verformte sich nicht sauber.

Daher musste ich zu einer anderen Variante greifen, die zwar ebenso belegt aber nicht annähernd so schön ist, dem Verkrampen:
 

Und so zeigt auch der Gürtel jetzt eine eindeutig Schau- und eine "Sau"seite. Was dem schönen, brettchengewebten Band gar nicht gerecht wird das mir eine Liebe Freundin nach den Textilresten des Schatzfundes von Erfurt gefertigt hat (Meinen Dank also hier nochmal an Silvia, bist halt doch die Beste!). Es besteht aus cochenille (entspricht dem historischen Kermeslaus) gefärbter Realseide und hat einen traumhaften, purpurfarbenen Rotton.

Schnalle, Schnallenblech und Riemenzunge habe ich selbst angefertigt und mich dabei nicht an einem konkreten Stück sondern an verschiedenen Motive, Formen und Mustern meiner angestrebten Zeitperiode orientiert.

Die Schnelle selbst ist eine recht zeitlose, klassische Form und der Schnallenbeschlag ist aus Silberblech und mit eingeschlagenen Kerblinien verziert. Zum Vernieten habe ich, um den Charakter des Gürtels zu betonen, nicht zu Silbernieten sondern nur zu Messing gegriffen. Solche Materialeinkreuzungen sind z.B. bei einigen gefundenen Gürteln aus den Niederlanden zu beobachten.

Die Riemenzunge aus Silberblech ist in Schichtbauweise aufgebaut da ein Textilgürtel generell zum Auffransen an den Enden neigt. Daher liegt das Band in einem Fach aus einem entsprechend ausgeschnittenen Blech das von einer Grund und Deckplatte geschützt wird.
So entsteht ein geschlossener und massiv wirkender Aufbau, der nach dem nötigen Überfeilen kaum noch als dreilagig zu erkennen ist.

Einen Börsenbeschlag wollt ich auch noch drauf haben, daher hab ich noch ein entsprechendes Stück erworben und  versilbern lassen, man kann es gut auf dem obersten Bild erkennen. Auch hier wurde in Messing genietet.

Tja, so lang ist es dann doch nicht geworden, aber lang genug! Mit einem letzten Bild auf das gute Stück in voller Länge:
(Hört sich irgendwie zweideutig an der Satz, aber ich muss die mitlesende Damen dahingehend enttäuschen .. hört sich wieder blöd an .. als enttäuschend ist natürlich nicht das gute Stück oder seine volle Länge sondern nur die Tatsache dass ich ihn nicht herzeige ... und jetzt Schluss damit!)

Was für ein langes schönes Ding, passt gut an meine Hüfte ... ach, ich gebs auf!

Abstract for eglish-speaking guests:

I made a elaborate belt with silver plated mounts for my "lady" quite some time ago. Due to the hard material of the mounts I didn't rivet the mounts to the plant dyed silk band. Therefore the belt has a classical "gothic" view-side (where everything seems to be pretty and beautiful, like on many products of the high gothic period e.g. knive scabbards) and a .. hmm, not so lovely counterside (4th picture from the top of the article).

Since the metal parts of the counterside can damage the fabric of my ladys dress I urged her to cover the back of the belt with white silk. And so she did:



FOLLOW UP: 

Passend zur Markteinführung von Lorifators neuen Seidengürteln hat meine Frau mich ermahnt doch bitte endlich ihr letztes Werk zu posten! Und wer bin ich, dass ich der lieblichen Anweisung meiner höchstverehrten Dame nicht nachkommen würde?

Das Ganze kam nämlich so: Kaum war der Gürtel fertig, äußerte der wahre Mittelpunkt meiner Welt nämlich starke Bedenken die Metallkrampen könnten ihr neues Kleid zerkratzen! Nicht dass das neue Kleid schon mehr wäre als ein wunderschöner, handgewebter Stoff in einem evakuiertem Plastikbeutel, aber die hochverehrungswürdige Voraussicht meines Zentralgestirns ließ sie nicht ruhen oder rasten bis das Gürtelchen gefüttert war.

Hier also die Bilder des fertigen Gürtels, so wie mit Engelszungen anbefohlen:


Damengürtel des 14.Jahrhunderts aus pflanzengefärbter Seide mit versilberten Messingbeschlägen und weißem Seidenfutter
The finished belt made from plant-dyed, tablet-woven silk, silverplated brass mounts and lining made from white silk



Rückseite des fertg gefütterten Gürtels: das Seidenfutter bedeckt die Befestigungselemente der Beschläge bzw. endet davor
Backside of the belt with the white silk covering all the metal parts or (in case of the end mounts) sparing them out

Detail des mit Überwendlingstich befestigten Futters aus naturfarbener Seide in Köperbindung
Detailed view of the belts backside showing the wihite silk lining