Dienstag, 14. Juni 2016

Das Wiener Wehrbürgertum in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts - Teil 3

In diesem Teil möchte ich ein wenig mit der praktischen Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse über das Wehrbürgertum in Wien auseinandersetzen .. sprich: Was braucht man? Warum braucht man es? Und wann zieht man das Gerümpel eigentlich an?

Dazu nehme ich immer wieder Bezug auf die vorhergegangenen Artikelteile (Teil 1 und Teil 2). Es wär daher nicht schlecht wenn sich der geneigte Leser (und auch die, die gerade sitzen beim Lesen) die entsprechenden Teile auch zu Gemüte führt. Außerdem kommen die Realienartikel über die Beckenhaube und den Spieß immer wieder mal vor und werden dann an dieser Stelle um Links zu neuen Ausrüstungsgegenständen ergänzt.

Fußsoldaten um 1330-1340, Rückseite des Verduner Altar, Klosterneuburg

Beginnen wir mit den Einzelnen Aufgaben wie in den vorigen Artikeln angeschnitten:

"Ze zirgehn" - Streife gehen

Was trug man denn so auf Streife? Belege für irgendeine Art von Uniformierung sucht man in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Wien vergeblich, bisher jedenfalls. Die ersten Erwähnungen von "Viertelfarben" für die 4 Stadtviertel gehen lediglich auf das 15. Jahrhundert zurück.

Auch die Bildquellen sprechen da eigentlich eine eindeutige Sprache: Keine Spur von irgendwelchen "wappenrock"artigen Überkleidern in Mi-Parti oder Ähnliches ist da zu finden. 

Ich gehe daher davon aus, dass man einfach die übliche Alltagskleidung trug: Hosen (Beinlinge), Bruochen (Unterhosen aus Leinen), Pfait (leinernes Unterhemd) und den Roc (Oberbekleidungs-stück). Schuhe durften natürlich auch nicht fehlen und auch sie entsprechen den gängigen, zivilen Modellen.

Aber trug man mehr als nur Kleidung? Das ist schwierig zu beantworten, da wie schon mal in den früheren Artikeln angesprochen kaum eindeutig zuordenbare Bilder von Wächtern oder Nachtwächtern vorliegen. Die wenigen Abbildungen die ich finden konnte zweigen aber aber durchwegs Fußsoldaten in Rüstung.
Gehen wir daher mal von den Schriftquellen der Zeit aus, die nicht nur die häufigen Messerstechereien unter den Wienern anführen, sondern ziehen auch folgende, aus dem Stadtrechtsprivileg vom 24. Juli 1340 stammende, Erlaubnis heran:

"Falls es in der Stadt Streitigkeiten oder Zerwürfnisse gibt und es kommt dort jemand bewaffnet dazu und wird beschuldigt, er habe das 'durch vechtens willen' (aus Streitlust) getan. so soll er, falls er beeidet, er habe diese Streitigkeiten schlichten wollen, unbehelligt bleiben"
(Na, Prost Mahlzeit! Nennt man so was nicht Eskalationsspirale?)

Die Quellen sprechen als sehr dafür, dass bewaffnete Konflikte im Wien dieser Zeit keine Seltenheit waren. Ich würde jedenfalls in einer finstren Stadt mit engen Gassen und zahllosen Verstecken für hemmschwellenlose Messerstecher und beeidete "Schlichter" definitiv Rüstung tragen. Und das ging denen damals wohl genau so, wie die Bildquellen vermuten lassen.

Über den Rock konnte also eine zusätzliche, schützende Schicht gezogen werden ....

Erfahrene-Freikämpfer-Protest:
Moment! Direkt über den Rock? Kein 12cm dicker, mit Wolle von rückgezüchteten Polytierchen gestopfter Michelin-Männchen-VK-Echter-Mann- Hämatomverhinderer unter der Rüstung? 

Na, wenn man den Bildquellen glauben schenkt dann nicht, das Zeug liegt ziemlich eng an. Lediglich im Halsbereich deuten die Bilder darauf hin dass da irgendwas unter dem Ringpanzer war.


Europäische Quellen dieser Zeit zeigen, dass es sich bei dem "Ding-über-dem-Rock" wohl vorwiegend um Textilpanzer aus Leinen (Gambeson/Aketon), Ringpanzerhemden mit kurzen oder langen Ärmeln und eventuell Plattenröcken gehandelt haben dürfte. Seltsamerweise sind allerdings die Bildbelege aus dem Wiener Raum recht eindeutig: Textilpanzer sieht man selten (und da nur angedeutet), Plattenröcke kommen gar nicht vor.

Um Textilpanzer und sogar frühe Plattenröcke in Verbindung mit Ersteren zu sehen muss man dann schon ein wenig ausweichen, genauer gesagt bis Südtirol. Auf Fresken von Burg Sabbionara im Trentin findet sich schöne Darstellungen kämpfender Infanterie, datiert um 1340:

Burg Sabbionara, Avia, Trentin, um 1340

Die richtig(ste) Wahl ist dann also ein Ringpanzerhemd oder eventuell ein Textilpanzer. Eindeutige Plattenröcke bleiben in der relevanten Region bisher leider auf die eine Abbildung aus Südtirol beschränkt.

EDIT: Mittlerweile hat sich da durchaus was getan ... ein recht vielversprechendes "Vielleicht" hat sich ergeben.

Schön zu sehen ist hier auch ein klassischer Basilard mit I-Griff, getragen hinter einer Gürteltasche, sowie ein interessanter Schildtypus mit längsachsig angeordneter Schildfessel. Hübsch, oder?

Was man jedoch auf Bildern aus dem Wiener Raum immer wieder sieht, ist, dass man den Harnisch kaum mal "bloss", also als oberste Schicht und sichtbar, getragen hat. (Überzählige Beistriche können gegen Einsendung von Briefmarken bei mir bestellt werden).
Auf beinahe allen relevanten Bildern die erkennbar bewaffnete Nichtritter darstellen wird ein zivil anmutender Suckl (auch Sucknei oder französisch Surcot) über der Rüstung getragen. Die für das jeweilige Jahrzehnt charakteristischen Ärmelformen finden sich auf diesen Überkleidern ident zur zivilen Mode wieder. (siehe Abbildungen unten)
Es ist daher nicht auszuschließen dass man tatsächlich einfach den zivilen Überrock über den Harnisch zog, der (wie die Wiener Quellen zeigen) eben in dein meisten Fällen ein Ringpanzerhemd war.

Fußsoldat mit Suckl über dem Ringpanzer, Rückseite des Verduner Altar, Klosterneuburg
Die für 1330-1340 typischen Trichterärmel sind blau markiert

Eine weitere Klosterneuburger Quelle liegt mit einer Handschrift (Cod. Gen. 8) aus Schaffhausen vor, auch sie (datiert um 1340) zeigt die gleichen Ärmelformen bei den Überröcken (grüne Kreismarkierung):

Vergleich zwischen Überröcken mit Trichterärmeln (grüner Kreis) im militärischen (links) und zivilen Kontext (rechts)

Zusätzlich ist auf dem Bild (gelber Kreis) eine weitere zu der Zeit übliche Form des Überrocks zu sehen, die (üblicherweise szeneintern gerne so genannte) Garnache.
Die "Garnache" hingegen entspricht mit ihren flügelartigen, halbrunden Ärmellappen genau den Schilderungen von Realienkundlern wie z.B. Harry Kühnel (Gott hab ihn seelig!) wenn es um die Beschreibung eines typisch Wienerischen Kleidungsstück geht: dem Seidl!
Diese Einschätzung geht wohl auf die Werke Heinrich des Teichners (1310 - ca. 1375) zurück der in seinen Werken das "Seydel" erwähnt und dabei "Stumpen" oder "Flügel" als Ärmel nennt.
Es ist daher nicht auszuschließen, dass genau so ein "Seidl" auf dem obigen Bild ganz links abgebildet wurde.

Zurück zum Ringpanzer! Interessant ist hier die unterschiedliche Ärmelgestaltung der Ringpanzerhemden in den relevanten Bildquellen, hier Beispiele aus dem Schaffhausener Codex Gen. 8:

Ringpanzer mit verschiedenen Ärmelvarianten: Geschlossener und maßgefertigter Ärmel (ganz links), halblanger und locker getragener Ärmel (Mitte) und ein langer, offener Ärmel ohne erkennbare Anpassung an den Arm (rechts)

Ringpanzer mit losen, augenscheinlich nicht maßgefertigten Ärmeln sind auch gar keine Seltenheit zu jener Zeit und wohl kein typisch ostösterreichisches Phänomen, z.b.  zeigt auch ein Heilsspiegel aus dem östlichen Mitteldeutschland ein solches Panzerhemd:

Speculum humanae salvationis - Karlsruhe 3378 - um 1350

Neben Körperpanzern zeigen die Bildquellen in den meisten Fällen dann auch Helme und tatsächlich war der Kopfschutz wohl die erste Entscheidung die ein zukünftiger Gerüsteter zu treffen hatte. Wär' ja auch immens schad' um den schönen Kater nach dem ausgiebigen Weinstubenbesuch am Vorabend wenn einem dann einer während der "Zirgehung" den Schädel einknüppelt.
Die abgebildeten Helmformen sind üblicherweise Beckenhauben (mit und ohne Ringpanzergeflecht) oder eben die in den Quellen häufig abgebildeten oder auch genannten Eisenhüte. Bei Letzteren wurde meistens eine Ringpanzerhaube darunter getragen.

Zusätzlich zu Helm und Körperpanzer wurde der Schutz wohl bei manchen noch um die auf dem Verduner Altar mehrfach gezeigten und in Testamenten des späten 14. Jahrhundert auch erwähnten Plattenhandschuhe ergänzt. Vorbilder für einfache Panzerhandschuhe liefern zum Beispiel die Massengräber der Schlacht von Visby, Dänemark.

Die Beine hingegen blieben wohl üblicherweise ungepanzert wenn man dem Verduner Altar folgt, nur ein Soldat auf dem Tafelbild trägt Ringpanzerhosen (und hat scheinbar nur ein Bein, naja). In der in Klosterneuburg entstandenen Handschrift aus Schaffhausen hingegen sind vereinzelt Beinpanzerungen zu sehen, hier allerdings bereits in einer Ausführung als Plattenpanzer:

Ringpanzerhose (links) und Plattenpanzerung für Bein und Knie (rechts)

Nimmt man nun ein paar Faktoren gedanklich zur Hand, zum Beispiel - die Verwendung von Stangenwaffen auf Seiten der Streife gegen lediglich mit Seitenwaffen ausgestattete Bürger und die damit stark reduzierte Verletzungsgefahr im Beinbereich, - die Untragbarkeit von Kettenhosen bei längeren Fußmärschen sowie - die zahlreichen Abbildungen ungepanzerter Beine, so kann man davon ausgehen dass beim "Zirgehn" eher auf diese Rüstungsergänzung verzichtet wurde.

Was jetzt aber nun zum echten WWW natürlich noch fehlt, ist die Bewaffnung!
 
Da sind die Bildquellen relativ eindeutig: eine Stangenwaffe wie Spieß oder Halmbarte (in ihren frühen Formen) dürften die Hauptbewaffnung gebildet haben. Spätestens seit den, wortwörtlich "durchschlagenden" Erfolgen der Schweizer bei Morgarten waren diese Stangenwaffentypen bei der Infanterie wohl schnell in Mode gekommen.

Ergänzend dazu wurde eine Seitenwaffe getragen. Die Quellen zeigen hierfür entweder Dolch, Dolchmesser oder (für die die es sich leisteten) das Schwert.

Gerade für den Dolch- und Dolchmesserbereich gibt es zahllose Abbildungen (siehe auch das obige Bild von dem Eisenhütler von der Rückseite des Verduner Altars) sowie Funde aus dem Zeitraum 1300 - 1350 die dafür in Frage kommen, einige davon (Noch ein Beispiel? Gern!) sind auch schon über meine Werkbank gewandert .. oder liegen dort gerade rum.

Damit scheint mir so ein "Zirgeher" schon ganz gut ausgerüstet gewesen zu sein um die Fährnisse und Bedrohungen der Gassen und Straßen zu mindestens für Dauer seines Dienstes zu überleben ... und die geliebte Weinstube wieder zu sehen.


"Ze wachten" - Wache stehen

Das Wache stehen dürfte sich was das Bedrohungsszenario angeht kaum vom Streife gehen unterschieden haben. Potentielle Gegner dürften sich auch hier eher unter den Reihen der leicht bewaffneten Bürgerschaft gefunden haben.

Daher ist eigentlich nicht davon auszugehen, dass sich die Ausrüstung einer Wache substantiell von jener einer Streife unterschieden hat.

Eventuell könnte man vielleicht annehmen, dass Beinpanzerung bei den ja ortsgebundenen Wachen häufiger getragen wurde als bei den Kreise ins Strassenpflaster ziehenden "Zirgehern".
Belege dafür sind mir aber keine bekannt .. außer "dass die damals ja nicht blöd waren" natürlich. Und das Argument "belegt" ja schon Hunderschaften von Märchenrittern und Elfenwikingern ... muss also reichen!


"Ze schützen" - Zu verteidigen

Hier wird die Sache schon deutlich spezieller, schließlich steht einem bei der Stadtverteidigung eher selten der gemütliche Beckersbursch von um der Eck'n, sondern ein potentiell gefährlicher, ob der Leiterkletterei erboster und gut (oder besser) bewaffneter Feind gegenüber.

Hier würde ich davon ausgehen, dass man praktisch alles am Leib trug was die städtischen Sarwürker und Plattner so aufbringen konnten und eventuell auch einen Schild in greifbarer Nähe hatte.

Abgesehen davon ist auch hier das unter dem "Zirgehen" angeführte Zeug wohl der Standard gewesen .. und oft (wenn überhaupt, im 14.Jhdt. schon mal gar nicht) kam das ohnehin nicht vor.

Wie bei beim ersten Teil hat sich das "Ausfahren" einen eigenen Beitrag verdient, bei dem auch die Rolle der Infanterie in militärischen Unternehmungen der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts angesprochen werden soll. 

Daher heißt es, irgendwann mal, aber hoffentlich bald:

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